Unser digitales Sommerforum ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Konferenz, die uns im November in der Wiener Hofburg persönlich zusammenführen wird. Beide Veranstaltungen firmieren unter einem gemeinsamen Titel: Performance that matters – Leistung, auf die es ankommt.
Wie misst man die Leistung eines Unternehmens? Das scheint heute noch komplexer als früher. Zu Druckers Zeiten bezeichnete «Leistung» einfach die wirtschaftliche Leistung. Drucker betonte, dass ein Unternehmen in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgreich sein muss, bevor es Ressourcen für andere Ziele erübrigen kann. Allerdings wies er auch darauf hin, dass Unternehmensführung ein moralisches Unterfangen sei: Die Erhöhung der Gewinnspannenoder die Schaffung von noch mehr Shareholder-Value könne nicht die einzige «raison d’être» sein – vor allem wenn man bedenkt, welche Auswirkungen Unternehmen auf Kunden, Arbeitnehmer, Gemeinden und letztlich die Umwelt haben.
“Zwei Jahre nach meinem Tod wird sich niemand mehr an mich erinnern.“ Das meinte Peter Drucker in einem seinen letzten Lebensjahren zu seiner Frau Doris. So berühmt er auch gewesen sein mochte, so sehr war ihm bewusst, dass Erinnerung rasch verblasste. Im ersten Jahr des Druckerforums versprach ich unserer Mentorin und Freundin Doris Drucker daher, dass wir hart daran arbeiten würden, die Erinnerung an Peter Drucker hochzuhalten. Gerade in Zeiten von Krisen und Verwirrung können wir so viel von ihm lernen! Und tatsächlich sind wir darum bemüht, sein geistiges Erbe zu ehren, indem wir drängende Managementfragen ernsthaft und
tiefgreifend zu analysieren versuchen.
Den Background für das diesjährige Forum liefert die wohlbekannte Abfolge der jüngsten Krisen – mit Pandemie, Lockdowns und dem Krieg inder Ukraine. Nicht zu vergessen jene Probleme, die schon viel länger unter der Oberfläche köcheln: steigende Verschuldung, die Spaltung der Gesellschaft, wachsende Ungleichheiten, eingeschränkte Freiheit und Privatsphäre oder zunehmende Bürokratisierung. Jahrelang konnten wir uns durchschummeln – nun aber droht der Riesencrash. Oft spricht man im Zusammenhang mit dem Nachhall einer Krise von einer «neuen Normalität», die sich einstellen würde. Was uns jedoch droht, ist deutlich ernster – und wesentlich größer. Es ist, als ob sich vor unseren Augen eine neue Weltordnung herausbilden: sowohl geopolitisch als auch sozial und wirtschaftlich. Wir sind Zeugen der Geburt einer neuen, anderen Welt – ein schmerzhafter und gefährlicher Prozess.
Was wir bisher für ein unerschütterliche Tatsache hielten, wird mit einem Mal obsolet: etwa die Annahme, dass Globalisierung einuneingeschränktes Gut, Inflation leicht zu zähmen sei und Zinssätze auf Dauer niedrig bleiben würden; dass die effizientesten und robustesten Lieferketten globale seien, dass reife Volkswirtschaften immun wären gegen Nahrungsmittel- oder Energieunsicherheit, dass Gesundheitsversorgung immer effektiver und zugänglicher würde, dass Armut überall zurückgehe und die Gefahr eines Atomkriegs ein für alle Mal gebannt sei.
Drucker stellte fest, dass die großen Einkommens- und Wohlstandszuwächse in der Welt auf die verbesserte Leistung von Organisationen und Institutionen zurückgeführt werden können – zunächst im Westen nach der industriellen Revolution und in den letzten Jahrzehnten zunehmend auch in Schwellenund Entwicklungsländern. Was wir als „Management“ bezeichnen, ist dabei nichts anderes als eine enorme soziale Innovation. Wir vergessen gern, dass die immensen Wohlstandsfortschritte, die wir im Westen in den letzten zwei Jahrhunderten erlebt haben und die uns hochdifferenzierte Bildung, gute Gesundheitsversorgung, Sozialsysteme und Mobilität gebracht haben, nicht allein auf den Fortschritt in Wissenschaft, Technologie und Innovation zurückzuführen sind. Die neue Sozialtechnologie, das so genannte Management, hat es möglich gemacht, in großem Umfang Werte zu schaffen, die das Leben so vieler Menschen verbessert haben. Ein neuer CovidImpfstoff etwa wird niemandem helfen, wenn wir nicht in der Lage sind, ihn in großem Maßstab zu produzieren und an diejenigen zu verteilen, die ihn brauchen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir viele gute Jahre, was vor allem im Westen zu einer gewissen Selbstgefälligkeit und ideologischen Hybris führte. Doch wie Andy Grove von Intel es so treffend feststellte, führt selbstgefällige Zufriedenheit mit dem Status Quo geradewegs in den Untergang. Was wir in der Zeit nach der industriellen Revolution aufgebaut haben, ist keine Selbstverständlichkeit: Allerdings dürfen wir uns nicht auf dem Erreichten ausruhen, sondern müssen auf Innovation und Erneuerung setzen, um auch in schwierigen Zeiten erfolgreich zu sein.
Gutes Management besteht zu einem großen Teil darin, Prioritäten zu identifizieren. Und es werden nicht jene von gestern sein! Was wir über Energie, Ernährung, Klima, Effizienz, Inflation, Arbeit und Management dachten, wird neu bewertet werden müssen. Möglicherweise werden wir auch Kompromisse eingehen, die früher nicht denkbar waren: Wirtschaft versus Soziales versus Umwelt, kurzfristig versus langfristig – wenn etwa eine Hungersnot droht, kann es sinnvoll sein, die Angst vor gentechnisch veränderten Lebensmitteln zu überwinden. Einer der «positiven» Nebeneffekte der Megakrise könnte sein, dass wir uns klarer darüber werden, was für die Menschheit wirklich zählt. Von der politischen Führung über die Manager bis hin zu den Akteuren der Zivilgesellschaft: Sämtliche Akteure werden ihre Agenda überdenken müssen. Mehr vom Immergleichen ist nicht (mehr) gut genug.
Diese kritische Selbstbetrachtung gilt auch für die Praxis des Managements selbst: Wie viel vom Management des 20. Jahrhunderts ist heute noch gültig? Wenn Druckers Postulat immer noch aktuell ist – nämlich, dass die Aufgabe des Managements darin besteht, die richtige Balance zwischen Kontinuität und Wandel zu finden – wie entscheiden wir dann, was bleibt und was geht?
Jamie Dimon von JP Morgan sagte einen drohenden wirtschaftlichen Wirbelsturm voraus. Gleichzeitig warnte er davor, sich zu verstecken und zu versuchen, die Krise auszusitzen: Wir müssten uns der Herausforderung stellen. Politiker werden schnell an ihre Grenzen stoßen,wenn es darum geht, Gelder auszuschütten, die sie nicht haben. Das Überleben, geschweige denn der Fortschritt, wird von denjenigen abhängen, die bereit sind, die Herausforderungmit ganzem Einsatz anzunehmen und zu stemmen: Unternehmer, Innovatoren, Manager und Beamte, die durch ein gemeinsames Ziel verbunden sind. Schließlich geht es um nicht weniger als darum, eine lebenswerte Welt für die Generationen nach uns zu schaffen. Ein Weg, der nur frei von Ideologie beschritten werden kann. Und mit einem starken Sinn für das Machbare.
Dies ist auch die Dynamik, die wir mit dem Druckerforum entfesseln wollen. Falls Sie sich fragen, welchen Einfluss ein Einzelner haben kann, so erinnern Sie sich nur an die Komplexitätstheorie und was sie über das
Handeln lehrt: Bekanntlich kann der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Luftstrom erzeugen, der stetig an Kraft gewinnt und schließlich zueinem Sturm irgendwo auf der Welt wird. Lassen Sie uns beginnen, unsere eigenen kleinen und großen Flügelschläge zu erzeugen, um die Welt zum Besseren zu verändern.
Ich wünsche uns allen eine großartige Konferenz und eine fundierte und ernsthafte Diskussion über Leistung, auf die es ankommt – für den Einzelnen, für das Team, die Organisation, das Ökosystem und die Gesellschaft insgesamt.