Döblinger Gymnasium

Richard Brem
Wien als Lebensprinzip und Erfolgsgeheimnis - Page 2

SCHWARZWALD-SCHULE

Nachhaltig geprägt hat den jungen Peter Drucker auch sein Jahr in der Schwarzwald-Schule, die er als Neunjähriger besuchte. Die Schwarzwald-Schule im ersten Wiener Gemeindebezirk war ein zu ihrer Zeit revolutionäres Schulexperiment: Nach den Ideen der Sozialreformerin Eugenia Schwarzwald wurden damals Mädchen und Buben erstmals nicht mehr in strikt nach Geschlechtern getrennten Klassen, sondern gemeinsam unterrichtet. Und die Schülerinnen und Schüler lernten nicht nur Lesen, Schreiben, Rechnen und abstraktes Wissen, sondern auch praktische handwerkliche Fähigkeiten.

Auch bei der Vermittlung des Lernstoffs ging man in der Schwarzwald-Schule neue Wege: Drucker erinnert sich noch gut an zwei seiner Lehrerinnen – die Schwestern Sophie und Elsa Reis. In seiner Autobiografie „Adventures of a Bystander“ (dt.: „Schlüsseljahre. Stationen meines Lebens“, Campus 2003)  eschreibt Drucker deren Lehrmethode: Sie legten den Schwerpunkt nicht darauf, die Schwächen der Schüler auszumerzen, sondern ihre individuellen Stärken auszubauen. Einmal in der Woche setzte sich etwa „Fräulein Elsa“, wie sie von den Schülern genannt wurde, mit jedem einzelnen Schüler, mit jeder einzelnen Schülerin zusammen und besprach mit ihm oder ihr die Leistungen der zurückliegenden Woche und legte dann gemeinsam mit der Schülerin bzw.dem Schüler Lernziele für die kommende Woche fest. Zwischen diesen Sitzungen arbeiteten die Schüler zumeist eigenständig und auch eigenverantwortlich. Auf diese Weise, schreibt Drucker in seiner Autobiografie, wurde ihm „Arbeitsdisziplin und das Wissen vermittelt, wie man Leistungen durch Organisation erreicht“. Allerdings, fügt Drucker mit einem Augenzwinkern hinzu, habe er „diese Fertigkeit jahrelang missbraucht“. Sie ermöglichte ihm nämlich, „auf dem Gymnasium acht oder neun Monate lang absolut nichts zu tun und stattdessen meinen eigenen Interessen nachzugehen. Wenn dann meine Lehrer davon überzeugt waren, dass ich zumindest das Jahr zu wiederholen hätte, wenn nicht sogar ganz hinausgeworfen werden müsste, kramte ich Fräulein Elsas Arbeitshefte aus, steckte mir Ziele und organisierte meine Arbeit, bis ich mich schließlich am Ende des Jahres im oberen Drittel oder Viertel der Klasse befand, einfach weil ich einige Wochen lang innvoll und gezielt gearbeitet hatte.“ Mit Hilfe von Fräulein Elsas Methode absolvierte Drucker später auch sein Studium – obwohl er „praktisch die ganze Zeit lang keinerlei Vorlesungen besucht“ hatte. Ein Echo von Fräulein Elsas Arbeits- und Organisationsmethode findet sich auch in dem von Drucker Mitte der 50er Jahre entwickelten „Management by Objectives“ (MBO), einer Managementmethode, die auf einem gemeinsamen Festlegen von Zielen und selbstverantwortlichem Handeln basiert.

Noch etwas lernte der junge Peter Drucker bei Fräulein Elsa und Fräulein Sophie: die Lust am Lernen und am Vermitteln von Wissen. Den Lehrern am Döblinger
Gymnasium, das Drucker im Anschluss an die Schwarzwald-Schule besuchte, fehlten diese Qualitäten völlig. An einen dieser Lehrer erinnert sich Drucker besonders: „Das war der Herr Gröbel, der Geographie und Geschichte unterrichtet hat. Der hat sich geweigert, das neue Österreich zu unterrichten. Wir haben also alle Nebenflüsse der Donau in Ungarn gelernt und alle Nebenflüsse der Elbe in Böhmen.“ Diese Art der Rückwärtsgewandtheit und Realitätsverweigerung war kein Einzelfall, Drucker begegnete ihr allerorten in der jungen österreichischen Republik nach 1918. „Es war eine sehr homogene Vorkriegsgesellschaft, die der Wirklichkeit der 20er Jahre nicht gewachsen war und die sich auch gar nicht anpassen konnte an ein kleines Österreich. Das war auch einer der Gründe, warum das Österreich dieser Jahre in so schauerlicher Verfassung war, weil es sich wirtschaftlich gar nicht als Staat organisiert hatte, sondern immer noch versuchte, die alte Monarchie wirtschaftlich zusammenzuhalten. Das war auch einer der Hauptgründe, warum die ‚Kreditanstalt’ zusammengebrochen
ist, weil sie alle diese Unternehmen in der Tschechoslowakei und Ungarn finanziert hat (Anm.: Der Zusammenbruch der damals größten österreichischen
Bank löste 1931 eine weltweite Wirtschaftskrise aus.). Die Generation meiner Eltern hat eigentlich bis zum Ende in der Monarchie gelebt.“