Richard Brem
Wien als Lebensprinzip und Erfolgsgeheimnis - Page 6

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Da er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verreist, führt er manche dieser Beratungsgespräche per Video- Schaltung – ein Beleg, wie sehr Drucker mit der Zeit geht. Dass er keine Scheu vor neuen Technologien hat, bedeutet allerdings nicht, dass er ihnen nicht auch mit einer gesunden Skepsis begegnet. So rechnete er etwa den Redakteuren der amerikanischen Zeitschrift „Wired“ vor, dass zwar einzelne Computerfirmen wie Microsoft Gewinne machen, die Computerindustrie insgesamt aber Verluste schreiben wird. Auch den Hype rund um die New Economy Ende der 90er Jahre hat er nie mitgemacht. Befragt vom New-Economy-Magazin „Business 2.0“, was er vom Internet halte, antwortete Drucker, dass dessen Haupteffekt nicht wirtschaftlicher, sondern psychologischer Natur sei, weil das Internet nämlich Entfernungen eliminiere. Eine Entwicklung, die, wie Drucker weiter ausführte, bereits im frühen 19. Jahrhundert mit der Eisenbahn begonnen habe. Diese Fähigkeit, neue Entwicklungen in großen Zusammenhängen zu sehen und wirtschaftliche Fragen nie isoliert, sondern immer vor dem Hintergrund von Gesellschaft und Technik zu sehen, ist es, die Manager, Unternehmer und Firmengründer an Drucker so schätzen.

Der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan, auf den der berühmte Begriff „Global Village“ und die Erkenntnis „The Medium is the Message“ zurückgehen, hat in einem Essay über Peter Drucker darauf aufmerksam gemacht, dass es im elektronischen Zeitalter nicht darauf ankommen wird, Wissen anzuhäufen, sondern es sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Eine „bloße Hinzufügung von Wissen“, schreibt McLuhan, „kann niemals den lebendigen Kern eines Lebensprinzips ersetzen“. Als Beispiel für solch ein Lebensprinzip nennt McLuhan das alte Wien. Die Stadt, in der Drucker aufgewachsen ist, hätte „über Jahrhunderte hinweg einen kulturellen und ökonomischen Knotenpunkt“, eine Art „Interface“ dargestellt. Hier, in seiner Heimatstadt, hätte der junge Drucker seine „in Zusammenhang bringende Art und Weise des Lernens“ und die Verknüpfung von einzelnen Disziplinen und Wissengebieten gelernt. Und hier liegt für McLuhan auch der Schlüssel zum Verständnis von Druckers Denken und von Druckers Erfolg als Unternehmensberater. Für McLuhan ist Drucker allerdings nicht einer der letzten Repräsentanten einer längst vergangenen Epoche, sondern zugleich auch ein Pionier und ein Vorbild für die Zukunft. Denn: Ein „enzyklopädischer und internationaler kultureller Hintergrund“, wie ihn Drucker aufweist, wird in Zukunft unverzichtbar sein, „wenn man es mit dem Leben im elektronischen Zeitalter zu tun hat“.