Politische risiken meistern

HBM Juli 2018

Gab­ri­e­la Cow­pert­hwai­te las 2010 einen Ar­ti­kel, der ihr Le­ben ver­än­der­te. Er be­schrieb, wie ein Orca im Frei­zeit­park Sea­World in Flo­ri­da bei ei­ner Vor­füh­rung einen Trai­ner ge­tö­tet hat­te. Cow­pert­hwai­te, eine Fil­me­ma­che­rin aus Los An­ge­les, die ih­ren Zwil­lin­gen gern die Or­cas in der Sea­World San Die­go zeig­te, ar­bei­te­te dar­auf­hin zwei Jah­re lang an dem Do­ku­men­tar­film „Black­fish“, in dem sie dar­stell­te, wie die Be­hand­lung von Or­cas in den Frei­zeit­parks so­wohl den Tie­ren als auch den Trai­nern scha­de­te. Die Pro­duk­ti­ons­kos­ten des Films la­gen bei ge­ra­de ein­mal 76 000 Dol­lar, doch er wur­de ein vi­ra­ler Hit und er­reg­te schnell auch die Auf­merk­sam­keit von Pro­mi­nen­ten und Tier­schüt­zern. Der öf­fent­li­che Druck auf Sea­World stieg. Spon­so­ren zo­gen sich zu­rück, Auf­sichts­be­hör­den un­ter­such­ten die Si­cher­heit­s­prak­ti­ken der Frei­zeit­parks, und der Ge­setz­ge­ber schlug vor, die Zucht von Or­cas in Ge­fan­gen­schaft zu ver­bie­ten. 18 Mo­na­te nach Ver­öf­fent­li­chung von „Black­fish“ war die Sea­World-Ak­tie um 60 Pro­zent ein­ge­bro­chen und CEO Jim At­chi­son er­klär­te sei­nen Rück­tritt. 2018 hat sich die Ak­tie noch im­mer nicht er­holt – und das al­les, weil eine Frau eine Ge­schich­te über Or­cas ge­le­sen und einen Low-Bud­get-Film ge­dreht hat­te.

Bis vor Kur­z­em wa­ren po­li­ti­sche Ri­si­ken re­la­tiv leicht zu ver­ste­hen. Meis­tens ging es um Dik­ta­to­ren, die un­ver­mit­telt Ver­mö­gens­wer­te und An­la­gen aus­län­di­scher Un­ter­neh­men be­schlag­nahm­ten und für ihre in­nen­po­li­ti­schen Zie­le ein­setz­ten. Hugo Chávez in Ve­ne­zue­la war so ein Kan­di­dat. Heu­te sind Ent­eig­nun­gen durch po­li­ti­sche Füh­rer er­heb­lich sel­te­ner. Und auch wenn na­tio­na­le Re­gie­run­gen das ge­schäft­li­che Um­feld nach wie vor am stärks­ten prä­gen, geht ein großer Teil des po­li­ti­schen Ri­si­kos auf na­tio­na­ler und in­ter­na­tio­na­ler Ebe­ne in­zwi­schen von an­de­ren Ak­teu­ren aus: von Pri­vat­per­so­nen mit Han­dys; Lo­kal­po­li­ti­kern, die Ver­ord­nun­gen er­las­sen; Ter­ro­ris­ten, die Last­wa­gen in die Luft spren­gen; Uno-Ver­tre­tern, die Sank­tio­nen ver­hän­gen, und vie­len an­de­ren. Was an ir­gend­ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort pas­siert, wirkt sich in atem­be­rau­ben­dem Tem­po auf Un­ter­neh­men rund um den Glo­bus aus. Wenn in Vi­et­nam Men­schen auf die Stra­ße ge­hen und ge­gen die chi­ne­si­sche Re­gie­rung in Pe­king de­mons­trie­ren, blei­ben in den US-Mo­de­ge­schäf­ten die Re­ga­le leer. Der Bür­ger­krieg in Sy­ri­en be­feu­ert die Flücht­lings­strö­me, und Ter­ror­an­grif­fe in Eu­ro­pa er­schüt­tert die Tou­ris­mus­bran­che. Ein nord­ko­rea­ni­scher Dik­ta­tor führt einen Cy­be­r­an­griff auf ein Film­stu­dio in Hol­ly­wood aus. Wir le­ben in ei­ner neu­en Welt des po­li­ti­schen Ri­si­kos.
Für Un­ter­neh­men sind po­li­ti­sche Ri­si­ken im 21. Jahr­hun­dert nichts an­de­res als die Wahr­schein­lich­keit, dass sich eine po­li­ti­sche Maß­nah­me mas­siv auf ihr Ge­schäft aus­wirkt – po­si­tiv oder ne­ga­tiv. Die­se De­fi­ni­ti­on ist noch ra­di­ka­ler, als sie klingt. Wir spre­chen be­wusst von po­li­ti­schen und nicht von staat­li­chen Maß­nah­men, um die wach­sen­de Be­deu­tung von Ri­si­ko­quel­len zu ver­deut­li­chen, die eben nicht zu den üb­li­chen Ver­däch­ti­gen wie Re­gie­rungs­sit­ze, Ka­ser­nen und Par­tei­zen­tra­len ge­hö­ren. Wirt­schaft­lich re­le­van­te po­li­ti­sche Ak­ti­vi­tä­ten fin­den heu­te prak­tisch über­all statt – in Pri­vat­woh­nun­gen, auf der Stra­ße und in der Cloud; in Cha­trooms, Stu­den­ten­wohn­hei­men und Vor­stand­se­ta­gen; in der Bar um die Ecke und am Ran­de von Spit­zen­tref­fen.
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