"Kurs ändern, bevor die Party vorbei ist"

Interview:

Mit Charles Handy sprach Ingmar Höhmann
Heft 12/2018
Keith Morris

Mr. Handy, Sie wählen oft Metaphern, um Ihre Konzepte zu verdeutlichen. "Der Elefant und der Floh" heißt eines Ihrer Bücher - der Elefant steht für Konzerne und der Floh für Start-ups. Sie haben vier Organisationskulturen identifiziert und sie nach griechischen Göttern benannt. Menschliches Potenzial bezeichnen Sie als "goldenen Samen". Warum die Bildsprache?

Handy: Weil sich Menschen in Bildern erinnern. Metaphern sind visuell. Der Elefant und der Floh waren natürlich keine akkuraten Beschreibungen, aber man kann sich etwas vorstellen. Wenn ich über "Organisationen mit 2000 Mitarbeitern" geschrieben hätte, hätte das nicht die gleiche Wirkung gehabt. Ich nenne das "wenig definierte Konzepte". Sie sind nicht präzise. Ich definiere nicht, wie groß eine Organisation sein muss, um als Elefant zu gelten. Sie ist nur groß, und der Floh ist klein.

Charles Handy
  • Der Denker
    Charles Handy ist einer der führenden Sozial- und Wirtschaftsphilosophen. Das Wirtschaftsmagazin "The Economist" bezeichnete ihn einmal als den "weisen alten Mann des britischen Managements". Geboren wurde Handy 1932 im irischen Kildare. Nach seinem Studium heuerte er beim Mineralölkonzern Shell an, wo er als Manager in Südostasien arbeitete. Später studierte er an der Sloan School of Management am Massachusetts Institute of Technology. 1967 gehörte er zu den Gründern der London Business School, wo er das Sloan Management Programme für Führungskräfte aufbaute, eine Ausbildung, die damals in der Form ein Novum in Europa war. Anfang der 80er Jahre machte sich Handy als Schriftsteller und Redner selbstständig. Handy, der Ehrendoktortitel von sieben britischen Universitäten hält, wurde der britischen Öffentlichkeit auch durch sein Radioprogramm "Thoughts for Today" in der BBC bekannt.

Ihr jüngstes Buch heißt "The Second Curve" - die "zweite Kurve". Auch eine Metapher. Wofür steht sie?

Handy: Sie sagt im Grunde aus, dass man den Kurs ändern soll, bevor die Party vorbei ist. Sie müssen sich auf die nächste Phase in Ihrem Leben vorbereiten, solange Sie noch die Mittel dafür haben. Dadurch, dass ich die Idee in eine visuelle Metapher verwandelt habe, können sich die Menschen daran erinnern. Wenn ich darüber rede, sagen mir Leute plötzlich: Meine Güte, das trifft ja auf mich zu! So ist die Welt derzeit, sie ist visuell.

Als bei einem Vortrag einmal der Beamer ausfiel, sollen Sie die zweite Kurve mit einer Spraydose auf die Leinwand gesprüht haben.

Handy: Eigentlich ist der Beamer gar nicht ausgefallen. Ich sollte einen Vortrag halten und dachte, statt eine Folie zu zeigen, würde der Effekt dramatischer sein, wenn ich die Kurve aufsprühen würde. Es war ein großer Raum mit einem großen Publikum.

Hat es funktioniert?

Handy: Ich denke schon. Aber eine Folie hätte wohl auch gereicht.

Woher weiß man, dass man etwas Neues beginnen soll - und man nicht zu früh oder zu spät dran ist?

Handy: Das ist eine Zwickmühle. Sie erkennen den richtigen Zeitpunkt erst, wenn Sie ihn bereits hinter sich gelassen haben. In Irland habe ich einmal einen Iren nach dem Weg zur Kleinstadt Avoca gefragt. Er sagte: "Fahren Sie bis zu einem Hügel. Von oben sehen Sie ein Tal mit einer kleinen Brücke. Auf der anderen Seite befindet sich ,Kelly's Bar'. Die können Sie nicht verpassen, weil sie hellrot gestrichen ist. Haben Sie verstanden?" Ich sagte: "Ja, den Hügel hoch, im Tal sehe ich ,Kelly's Bar'." Dann sagte er: "Okay, einen Kilometer vorher müssen Sie rechts abbiegen." Das war eine lustige irische Art, den Weg zu weisen - woher wissen Sie, dass Sie einen Kilometer entfernt sind, wenn Sie noch gar nicht da sind? Ich fuhr geradeaus, erreichte den Hügel und sah von oben "Kelly's Bar". Als ich weiterfuhr, suchte ich nach einer Abzweigung, aber es kam keine. Also drehte ich um und kam schließlich zur Straße, die rechts abbog. Ich hatte sie verpasst, längst bevor ich zum Hügel gelangt war.

Das ist das Problem mit der zweiten Kurve: Sie verpassen den Punkt, an dem Sie sich ändern müssen, weil Sie "Kelly's Bar" noch nicht sehen können. Die Bar ist natürlich eine Metapher für die Katastrophe, die Sie erwartet, wenn Sie geradeaus weiterfahren.

Was empfehlen Sie, um aus der Zwickmühle herauszukommen?

Handy: Sie müssen raten. Sie erwischen den richtigen Zeitpunkt oft nur, wenn Sie jemand darauf hinweist und Ihnen etwa sagt: "Du bist in Gefahr. Dieses starke Wachstum wird nicht ewig anhalten." Oder Sie fühlen sich über alle Maßen zufrieden, mit sich selbst oder Ihrem Unternehmen. Das ist ein Zeichen, dass Sie etwas Neues in Betracht ziehen sollten.

Das heißt: Den richtigen Zeitpunkt zu erkennen ist sehr schwierig.

Handy: Ja. In meinem Buch gebe ich das Beispiel von Steve Jobs. Immer wenn alles gut lief, kam er mit etwas Neuem, obwohl es keine Not für Veränderung gab. Als sich der Macintosh gut verkaufte, ging er mit dem iPod zum Board und sagte: "Ich will ins Musikgeschäft." Als sich der iPod gut verkaufte, sagte er: "Ich will ins Telefongeschäft." Apple hat aufgehört, so zu arbeiten. Tim Cook ist nicht Steve Jobs. Alles läuft gut, und Tim Cook sollte über den nächsten Schritt nachdenken. Aber er lässt nur eine Uhr entwickeln. Er weiß nicht, was er tun soll. Ich würde meine Apple-Aktien verkaufen.

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© Harvard Business Manager 12/2018
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